Dieser Tage erscheint also die deutschsprachige Ausgabe von Dee Dee Ramones "Chelsea Horror Hotel" im Milena-Verlag. In der Jungle World ist ein Auszug zu lesen. Der Untertitel im Englischen lautet "A Novel", ein Roman also. Die drei Abschnitte, die vorab veröffentlicht worden sind, lassen aber eher eine Art Anekdotensammlung vermuten. Paradigmatisch ist hier das legendäre Chelsea Hotel, ein Künstlerhotel in New York. Dee Dee Ramone hat dort selbst einige Jahre mit seiner Frau Barbara gelebt.
Aber auch Künstler_innen wie Salvador Dalí, Janis Joplin und Falco lebten zeitweise im Chelsea Hotel sowie auch Patti Smith. Sie nannte das Hotel mal "ein Puppenhaus in der Twilight Zone, mit Hunderten von Zimmern, von denen jedes ein eigenes kleines Universum barg." (In: Just Kids. Köln 2010. S. 137).
Scheint also eine gute Inspirationsquelle gewesen zu sein. So eben auch für Dee Dee Ramone, der sich nach seinem Ausstieg bei den Ramones 1989 nicht nur als Rapper (Dee Dee King), sondern auch als Schriftsteller versucht. "Lobotomy: Surviving the Ramones" (2000) und "Legend of a Rock Star. A Memoir" (2002) sind stark autobiographische Werke, letzteres posthum erschienen.
Auch in "Chelsea Horror Hotel" finden sich autobiographische Züge. Der Protagonist ist Dee Dee Ramone. Und was wahrscheinlich schon für Autobiographisches gilt, gilt hier umso mehr: Die Story ist mit reichlich Fiktion angedickt. Dee Dee und seine Frau Barbara stellen sich vor, sie würden in genau dem Zimmer leben, in welchem Sid Vicious seine Freundin Nancy Spungen umgebracht haben soll.
Von alledem ist in den Auszügen, die die Jungle World veröffentlich hat, aber noch nichts zu lesen. Hier erfahren wir durch den homodiegetischen Ich-Erzähler von den kaputten Figuren, die sich im Chelsea Hotel rumtreiben und die Straßen von New York bevölkern. In reichlich derber Sprache lernen wir einen Obdachlosen mit Gipsbein kennen, einen wie verrückt-blutenden Wahnsinnigen, und einen Schwulen mit Strumpfhosen-Fetisch.
Den Zusammenhang der Episoden bilden Dee Dee und das Hotel. Die Sprache ist einfach und es mag an der Übersetzung liegen, dass man sie manchmal als zu einfach empfindet. Etwa wenn es heißt: "Ich latsche also gerade an dem silbernen Feuerlöscher neben Vali Myers’ Selbstporträt vorbei, und da gerate ich mitten in diese Szene, total heavy, die sich gerade am Empfang abspielt." Und ein englisches "His face was flushed red from the alcohol. His eyes were puffy and leaking pus. He was covered in old dried up vomit and the cast on his bad leg was a horrible yellow color from being pissed on." klingt irgendwie runder als ein deutsches "Von dem ganzen Alk war sein Gesicht rot und aufgedunsen. Seine Augen waren verschwollen und eiterten. Überall an ihm klebte alte, inzwischen getrocknete Kotze, und der Gips an seinem kaputten Bein war schon ganz gelb, weil er so vollgepisst war."
Am Ende ist es aber wohl Geschmackssache, ob man Dee Dee Ramones "Chelsea Horror Hotel" auf englisch liest, oder auf deutsch. Dank dem Milena-Verlag hat man jetzt nach über zehn Jahren nach der Erstveröffentlichung in den USA immerhin die Möglichkeit dazu. Und ein großes literarisches Werk wird wohl niemand erwarten. Dafür sind dann mit Arthur Miller, William S. Burroughs, Simone de Beauvoir, Jack Kerouac und vielen, vielen weiteren eben andere Literat_innen zuständig, die einige Zeit im Chelsea Hotel, New York verbracht haben.
Aktuell kann man im Chelsea Hotel übrigens nicht als Gast übernachten. Stattdessen wird es als Produktionsort für Serien, Filme und Photostrecken genutzt.
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