"Pop, pop, pop goes the world"... und das nicht erst seit Leslie Fiedlers Aufsatz "Cross the Border - Close the Gap", welcher 1968 im Playboy veröffentlicht wurde (Und schon gar nicht erst seit Gossip). Da gab es so Romane wie "On the Road" von Kerouac (1957) und "Naked Lunch" von Burroughs (1959) schon längst. Fiedler gibt dem Kind dann eben noch einen Namen: Pop!
So viel zur kurz-kurz-Fassung. Seitdem ist viel passiert, auch, was den deutschsprachigen Pop-Roman angeht. Andreas Mand, Thomas Brussig, Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht und und und. Auch wenn bei weitem nicht alle Romane der genannten der Pop-Literatur zuzuordnen sind, haben sie sicher doch dazu beigetragen, dass die Pop-Literatur inzwischen etablierter Teil der Lesekultur ist. (Wer sich für diesen Teil der Geschichte besonders interessiert, dem sei Moritz Baßlers Buch "Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten" ans Herz gelegt.)
Über eine Rezension von Moritz Baßler in der taz bin ich auch auf Thomas Melles "Sickster" (2011) aufmerksam geworden. Und ja, wenn er von einem "entschiedene[n] Wille[n] zur Verdichtung" schreibt und von einem Roman, der "gesättigt mit Gegenwart" ist, hat er sicher Recht.
Was mich aber doch sehr gestört hat: Die Protagonistin kommt so gar nicht gut weg. Insgesamt dreht sich der Roman um drei Protagonist_innen, zwei Männer und eine Frau eben - Laura. Und während die Männer, Thorsten und Magnus, ziemlich coole Typen sind (Energy Drinks und Alkohol en masse konsumierend, die Nächte durchtanzend und Sexphantasien auslebend), fällt Laura ziemlich ab. Sie ist die Langweilige, die Arbeitende, die zuhause Wartende. Und als sie herausfindet, dass ihr Freund Thorsten sie betrügt, ist sie die Schwache.
Laura fügt sich Wunden zu. Dem Roman darf diese Figur dennoch eine interessante, formale Variante geben: Über einige Seiten sind ihre Gedanken in Form eines Tagebuchs lesbar. So bekommt Laura zwar einen autonomen Teil im Text zugesprochen, dieser reproduziert aber nur wieder das Klischee der weiblichen Innerlichkeit. Das Kapitel erhält vom Erzähler übrigens das Motto "Boys don't cry" von The Cure. Das tun sie dann auch nicht. Das tut nur Laura.
Sie landet dann schließlich auch in der Psychiatrie. Zwar quasi gemeinsam mit Magnus, allerdings nimmt sie im gesamten Roman die passivste, autoaggressive Rolle ein, obwohl die beiden Männer (Magnus mit seinem verstörenden Tinnitus und Thorsten mit seinem Karrierewahnsinn) auch Probleme entwickeln. Diese Selbstverständlichkeit der Schwäche von Laura thematisiert der Text leider nicht.
Auflage von 2006 |
Ganz anders in Kerstin Grethers "Zuckerbabys" (2004). Auch hier haben wir es mit einem Pop-Roman zu tun, auch hier haben wir eine krasse Gegenwartssättigung, etwa in Form von Pop-Motti, die den Buchteilen vorangestellt sind und auch hier haben wir es mit einer Protagonistin zu tun, die ihren Problemen in Form von Selbstverletzung Ausdruck gibt, in diesem Fall Magersucht.
Sonja scheitert an ihren Ansprüchen. Anstatt zu sehen, was sie kann und wer sie schon ist, versucht sie eine Figur der Werbe- und Warenwelt der MTV-Generation zu werden. Im Gegensatz zu Sickster-Laura wird für Zuckerbaby-Sonja hier eine mehrdimensionale Problemlage eröffnet. Ihr wird neben der Selbstreflexion auch eine Reflexion von außen, in Form von Freund_innen zugestanden und auch der_die Leser_in kann besser begreifen, was eigentlich grad Sache ist. Auf einen Formwechsel, also etwa das Einbauen von Tagebucheinträgen oder so, wird verzichtet.
Formal werden auch hier Perspektivensprünge geboten. Allerdings werden hier, im Gegensatz zu Sickster, unterschiedliche weibliche Sichtweisen ausgearbeitet. In Zuckerbabys sind die Frauen engagiert, interessant und interessiert. Sie verkommen nicht zur Dekoration, wie auf den Bällen der besseren Gesellschaft Bonns (Sickster), sondern prägen die Erzählung. Sie sind Musikerinnen, Pop-Journalistinnen, Mediengestalterinnen, Models und Verkäuferinnen. Sie kennen sich aus und wissen das auch!
Was nach dem Lesen vom Roman übrig bleibt, sind dann auch nicht die Kalorienangaben von Protagonistin Sonja, sondern ein Neunziger/Nuller Jahre-Archiv, das von Judith Butler über die Sugar bis hin zu Morrissey reicht und das Gefühl, dass trotz des großen Angebots, was Zuckerbabys macht, nach wie vor zu viele Normkörper, Normtexte und Normperformances im Pop stattfinden.
Zwei Mal Pop, zwei Mal Roman, zwei Mal Protagonistin - direkt hintereinander weg gelesen. Eins gefiel gut, das andere weniger.
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