Freitag, 7. September 2012

Interview mit enter_the_gap!


Nachdem die SlutWalks 2011 weltweit für Furore und bunte, feministische Sommer gesorgt haben, geht es in vielen Städten auch in diesem Jahr weiter. In Toronto, Washington DC und Münster zum Beispiel demonstrierten die Gegner_innen von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungsmythen schon vor Wochen für Selbstbestimmung und in Berlin geht es am 15. September los (Das Organisations-Team sucht noch Helfer_innen... mehr Infos hier)! 

Auch in Hamburg geht es in diesem Jahr wieder für (sexuelle) Selbstbestimmung auf die Straße. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Hamburger_innen in diesem Jahr nicht mehr unter dem Label "SlutWalk" laufen und auch nicht nur laufen, sondern mehr sein wollen, als nur eine "sexy" Demo! "enter_the_gap!" ist hier gleichsam Motto und Aufforderung! In dieser Woche fanden und finden tolle Aktionen statt und am morgigen Samstag geht es mit der Demo los. Vorab das Bündnis ein paar Fragen beantwortet...

differentneeds: 2011 haben die SlutWalks weltweit mehrere Tausend Menschen auf die Straßen gehen und gegen Sexismus, sexualisierte Gewalt und Opfermythen und für (sexuelle) Selbstbestimmung demonstrieren lassen. Ein Teil des Erfolgs war auch, dass alle Aktionen unter einem Label, nämlich dem des SlutWalks, als zusammenhängend und weltumspannend wahrgenommen werden konnten. Warum verabschiedet ihr euch in diesem Jahr dennoch von dem Label „SlutWalk“? 

enter_the_gap: Wir stehen immer noch voll und ganz hinter diesen Grundsätzen, möchten uns aber auch mit Kritik die nach dem SlutWalk laut wurde, auseinandersetzen. So haben zum Beispiel Black Women in den USA einen offenen Brief geschrieben. In diesem wird kritisiert, dass die positive Neubesetzung des Begriffs ’slut‘ im US-amerikanischen Kontext nur für weiße Frauen funktioniert. Durch Erfahrungen im Kolonialismus und durch das von Sklaverei entstandene Bild von Schwarzer, weiblicher Sexualität haben schwarze Frauen einen anderen Bezug zum Wort ’slut‘ als weiße  Frauen. Eine positive Aneignung vom Begriff ’slut‘ ist nicht möglich, solange Begriffe wie 'ho‘ noch alltägliche, entmenschlichende Zuschreibungen sind.
Auch in Hamburg haben wir das Konzept SlutWalk im letzten Jahr übernommen und unterstützt, weshalb wir den Brief als Kritik an uns angenommen haben. Nicht nur aus den USA, sondern auch aus Deutschland gab es Kritik an SlutWalks. Auch hier ging es darum, dass diese Idee nicht allen Menschen zugänglich ist und Perspektiven ausgeblendet und damit unsichtbar gemacht werden. Das zeigt, dass bei der  Organisation des SlutWalks das eigene, weiße Privileg, sich diesen  Begriff aneignen, bzw. ihn dekonstruieren zu können, nicht hinterfragt  wurde. Wir haben damit Ausschlüsse produziert und uns zu sehr auf unsere eigenen Erfahrungen und Probleme mit Sexismus konzentriert. 
Das weltweite Label hat natürlich seine Vorteile, weil damit ein Bekanntheitsgrad erreicht war und viel Mobilisierung gar nicht nötig war, aber es ist auch schwierig auf einen solchen "Zug" aufzuspringen, weil eigene Inhalte verschwinden. Auch letztes Jahr haben wir schon mehr zu sagen gehabt als, "wir wollen gerne sexy sein dürfen, bitte", aber das wurde vor allem von der Presse gerne übersehen, denn es war spannender "Schlampen" beim Anziehen zu filmen. Sexismus ist ein unangenehmes Thema, was sich erst wieder vermarkten lässt, wenn man dann doch sexistisch reduzierte Bilder von Brüsten zeigen kann. Das hat uns sehr geärgert und auch das ist ein Grund, nicht mehr unter dem Label zu laufen. Die Presse ist nicht alles und es war schön eine weltweite Solidarität zu spüren und diese überall auf die Straße zu tragen, aber unser Kampf geht weiter und ist alltäglich und nicht ein Partywalk einmal im Jahr und alles bleibt wie es war.


dn: Der Slogan „enter_the_gap“ ist von Menschen, die sich nicht in linken/queeren/feministischen Kontexten bewegen sicher nicht gleich zu verstehen und wurde, im Gegenteil, auch bereits sehr falsch verstanden, wenn „gap“ als Körperöffnung gelesen wird. Was spricht eurer Meinung nach dennoch für diesen Slogan?

e_t_g: Wir haben enter_the_gap! als Namen gewählt, weil damit viele verschiedene Bezüge zu Geschlecht und Sexualität aufgemacht werden, die die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und der Heterosexualität hinterfragen. Mit dem _gap_ wird eine Leerstelle aufgemacht, die innerhalb der normativen Ordnung nicht existiert. Genau diesen Raum wollen wir stark machen. Damit beziehen wir uns auf queer-feministische Ansätze, die sowohl in der Sprache als auch in der politischen Praxis ihre Anwendung finden. Das _gap_ macht den Bruch mit der normativen Ordnung sichtbar und damit lebbar, ohne neue Ausschlüsse und Festlegungen produzieren zu wollen. Der Kampf fürs _gap_ und ums _gap_ als wichtiger Teil queerer widerständiger und sexueller Praxen steht auch für uns im Mittelpunkt. 
Plakat an der Außenwand der Roten Flora, Hamburg
(von der enter_the_gap-Facebook-Seite)
Die Lesung als "Körperöffnung" wurde erst an uns heran getragen. Die Frage ist, ob es gut ist, dass wir mit einem _gap_ nicht an eine Körperöffnung denken, oder wir zu sehr in akademisch-feministischen Diskursen stecken. Aber da kein direkter Bezug zu Körperöffnungen auszumachen ist, finden wir das _gap_ als symbolischen Raum, der inhaltlich (!) mit verschiedensten Perspektiven gefüllt werden soll, und damit als Namen für unserer Bündnis passend. In linken/queeren/feministischen wird der Name wahrscheinlich direkt anders verstanden, als von Menschen, die sich nicht mit solchen Themen befassen, aber der Name klingt gut wie wir finden und ist ein guter Einstieg in eine Diskussion über unsere Inhalte. 

dn: Nach den SlutWalks im letzten Jahr sahen sich die Organisationsteams Kritik ausgesetzt. Unter anderem wurde kritisiert, es handele sich um eine Aktion, die vor allem weiße Mittelklasse-Bildungsbürger_innen anspräche und Menschen aus anderen Kontexten ausschließe. Ihr habt euch aktiv mit diesen Vorwürfen auseinandergesetzt und scheint dieses Jahr sehr produktiv damit umzugehen. Wie genau versucht ihr der Kritik bei „enter_the_gap“ entgegen zu wirken?

e_t_g: Der erste Schritt war die Änderung des Namens. Auf eine explizite Kritik an dem Begriff 'slut' als ausschließendes Moment haben wir uns entschieden, diesen Namen nicht beizubehalten. Uns ist bewusst geworden, dass unsere eigene Perspektive der Mittelpunkt der bisherigen Arbeit darstellte - und das wir somit ein 'feministisches WIR' produziert haben, was in dieser Form nicht existiert. Das wollen wir ändern, vor allem durch Fragen wie 'wer spricht?' und 'wer spricht für wen?' bei der Organisation unseres Protests. Auch, wenn sich dadurch natürlich nicht die Verortung von einzelnen Personen des Bündnisses ändert, hoffen wir, mehr Zugänglichkeit und damit auch mehr Kritik und gleichzeitig Offenheit zu ermöglichen. 
Doch leider spiegelt sich auch in einem solchen Bündnis weiterhin die gesellschaftliche Privilegiertheit wider, alleine wenn man daran denkt, wer überhaupt die Möglichkeit hat, so viel Zeit in ein solches Projekt unbezahlt hineinstecken zu können. Damit sind schon mal einige ausgeschlossen, aber auch durch strukturelle Benachteiligung und einem Ausschluss und Ignoranz der Linken im Allgemeinen. Wir versuchen reflektiert damit umzugehen und vor allem einfach mal das Mikro aus der Hand zu geben und andere sprechen zu lassen, aber weiterhin bilden auch wir Ausschlüsse. Wir versuchen diese zu vermeiden und haben viel Arbeit in Kommunikation und Bündnisse gesteckt, jedoch werden wir weiterhin versuchen unsere vorhandenen Leerstellen aufzudecken und offen für Kritik zu sein. Wir versuchen handlungsfähig zu bleiben, denn es ist wichtig tagtäglich seine Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zu äußern und uns trotzdem weiter zu entwickeln indem wir verschiedene Perspektiven auch innerhalb des Bündnisses, manchmal auch konfliktbehaftet und widersprüchlich zulassen und damit arbeiten.

dn: Auch begnügt ihr euch nicht damit, „nur“ zu demonstrieren. Stattdessen sind Kundgebungen und eine Aktionswoche geplant. Wieso haltet ihr dieses Angebot für wichtig?

e_t_g: Gerade die Aktionswoche ist uns sehr wichtig. Wir wollen, dass verschiedene Perspektiven gehört und gesehen werden. Das wollen wir über eine Sichtbarmachung dieser erreichen - in Workshops, Lesungen, Vorträgen und anderen Aktionsformen wollen wir uns deswegen verschiedenen Themen widmen, denen eins gemeinsam ist: Die tagtägliche Konfrontation mit patriachalen Strukturen, Sexismus und struktureller Gewalt. Das sind allerdings nicht die einzigen Probleme, die das Leben von Menschen prägen. Uns geht es um die Gesamtscheiße - Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Lookismus, Ableismus und und und. All diese ganzen Mechanismen, die uns vom schönen Leben abhalten, wollen wir sichtbar machen und angreifen!

dn: Ihr grenzt euer Projekt inzwischen klar von anderen SlutWalks, speziell dem in Berlin, ab. Wie kommt das? 

e_t_g: Es geht uns nicht darum uns konkret gegen Berlin abzugrenzen, weil wir immer noch solidarisch sein wollen mit anderen SlutWalks und auch Umsetzungsformen. Jedoch denken wir genau wie letztes Jahr, dass zu einem SlutWalk mehr inhaltliche Auseinandersetzung notwendig ist als das von der Presse aufgedrückte "Sexyness"-Label. Wir versuchen uns Kritiken anzunehmen, damit wir, aber auch die Inhalte sich weiter entwickeln können. Berlin ist für Deutschland natürlich immer der Vorreiter und wir wollen dann auch deutlich machen, wenn wir gewisse Umgangsweisen nicht unterstützen, wie z.B. das Party-Motto "Alles Schlampen, auch Mutti", oder dass keine direkten Konsequenzen aus Kritiken vom letzten Jahr gezogen wurden. Es ist schwierig sich von einem so großen "Label" wie dem SlutWalk zu trennen. Dadurch, dass wir im letzten Jahr relativ überstürzt den Walk organisiert haben, ist viel inhaltliche Auseinandersetzung auf der Strecke geblieben. Vielleicht hätten wir auch im letzten Jahr bereits gemerkt, dass diese Form von Protest ausschließend ist, wenn wir uns mehr mit dem auseinandergesetzt hätten, was wir da eigentlich machen. Da wir dann aber dieses Jahr ziemlich schnell gemerkt haben, dass das so nicht geht und wir das so auch gar nicht mehr vertreten können, stellt man diesen Anspruch dann natürlich auch an andere Gruppen. Und dass die Kritik von Black Women in Berlin erst so spät gehört wurde, ist schwierig zu glauben, bzw. zeugt es nicht davon, dass es wichtig für die Gruppe ist, wie Leute ihre Inhalte finden. Außerdem hat die Berliner Gruppe nun auch noch ihren Walk auf das Wochenende gelegt, an dem - ebenfalls in Berlin - die AntisexistischePraxen Konferenz V stattfindet, was natürlich nochmal mehr Unmut der Gruppe gegenüber entstehen lässt. (Die Konferenz findet vom 14.-16. September statt, der Walk am 15., Anm. Anna) Trotzdem wäre es schön, wenn e_t_g! auch mal positiv erwähnt werden könnte, ohne Berlin als Negativbeispiel anführen zu müssen.

dn: Und wie erreicht ihr Menschen jenseits linker, queer-feministischer Kreise?
 
e_t_g: Zunächst sollen diese durch unsere Kundgebung in der Mönckebergstraße, der zentralen Einkaufsstraße direkt am Hauptbahnhof, also keinem Szeneort sowie die Demo, die wie letztes Jahr auch wieder zentral durch die Innenstadt geht erreicht und aufmerksam gemacht werden. Auch die Presse wird vielleicht berichten, obwohl schon zu merken ist, dass dieses Jahr nicht so viel Interesse da ist, wie letztes Jahr, da wir nicht mit nackten Körpern werben. Außerdem haben wir wie letztes Jahr Zettel entworfen die an Menschen verteilt werden, die am Rand der Demo stehen und sich im Vorbeigehen fragen, was das eigentlich ist. Da steht in nicht "szenetypischer" Sprache drauf, was wir wollen und warum wir auf die Straße gehen, da gab es letztes Jahr schon sehr positive Reaktionen. Andererseits wollen wir unseren Szene-"Hintergrund" gar nicht verleugnen. Viele von uns sind dem queerfeministisch linken Spektrum zuzuordnen und das ist auch gut so und hat ja auch seinen Grund. Die queere, linke, feministische Ausrichtung soll nicht unter den Teppich gekehrt werden, nur damit die Aktionen "bürger_innennaher" sind. Wir denken, dass ein offener Umgang mit Menschen, die Interesse zeigen, auch wenn sie nicht wissen was Definitionsmacht ist, der richtige Schritt ist und dann sind die Inhalte, wenn man ins Gespräch kommt, meist gar nicht weit weg, von dem was die Leute alltäglich erleben, dann von Sexismus ist jede_r mehr oder weniger betroffen. Aber wir sind auch nicht dazu da, um tolerant gegenüber Leuten zu sein, die ignorant weiter ihre sexistische Kackscheiße verbreiten.

dn: Ihr kritisiert in dem FSK-Radiobeitrag, mit einer Soli-Party zur Finanzierung sei es nicht getan und sagt, dass ihr Wert darauf legt, dass ihr die Aktivist_innen, die bei euch Angebote machen, Redebeiträge beisteuern etc. auch Geld für ihre Arbeit bekommen. Wie finanziert ihr euch? 

e_t_g: Natürlich möchten wir Personen, die sich durch politische Aktivitäten finanzieren, dahingehend unterstützen. Wir sind allerdings auch dem D.I.Y.-Gedanken nicht fern und versuchen, vieles selbst zu organisieren und anzubieten. So haben wir eine für uns finanzierbare Mischung von Aktionen und Aktionsformen zusammengestellt. Die Mittel dafür kommen aus Spenden, Soli-Einnahmen und Unterstützung von externen Stellen.

dn: Generell wird häufig kritisiert, die dritte feministische Welle sei in Deutschland noch nicht so recht angekommen. Grade, wenn man Hamburg betrachtet, kommt man da aber auf eine andere Idee. Bands wie „Die Braut haut ins Auge“ haben die Riot Grrrl-Attitude aufgenommen, das erste Ladyfest Deutschlands fand in Hamburg statt, das Missy Magazine hatte seinen Startpunkt in Hamburg... die Kritik, Feminist_innen heutzutage kommen nicht hinter ihren Laptops hervor, trifft auf Hamburg eher nicht zu. Wie verortet ihr euch in diesem Diskurs? 

e_t_g: Puh, ja wir gehen auf die Straße, ohne Laptop =) Aber auch wir sind diesem Medium verhaftet und versuchen es positiv zu nutzen, um Inhalte zugänglich und festhaltbar zu machen. Natürlich ist es mit einem schicken Blog und einem Facebook Auftritt nicht getan, aber so hat enter_the_gap die Grenzen Hamburgs im Internet zumindest lange überschritten und das ist schön, dann so entstehen neue Bündnisse und Vernetzungen. Der eigentliche Kampf findet sowieso in unser aller täglichem Leben statt und der ist ganz real. Feminismus ist nicht allein einen tollen Artikel im Internet zu posten, sondern stetig an feministischen Themen mit verschiedensten Zugängen, auf verschiedenste Weise zu arbeiten. Hinter Texten und allem was im Internet erscheint stecken reale Menschen, die viel Mühe und Arbeit in sowas stecken und das meist "ehrenamtlich". Und auf der Straße, in unserer Aktionswoche sind ganz reale Menschen zu sehen, die sich dafür einsetzen. Eine theoretische Auseinandersetzung ist sehr wichtig, so gehören Aktionismus und Theorie zusammen und sind nich voneinander getrennt zu sehen. 

dn: Die SlutWalk-Kritiken aus dem letzten Jahr scheinen euer Engagement eher noch angeheizt und herausgefordert zu haben. Wie soll es weitergehen mit „enter_the_gap“, speziell nach dem 8. September?

e_t_g: In dem momentanen Orga-Stress ist das ein Thema, was noch nicht eingehend besprochen wurde. Viele von uns haben Lust, in diesem entstandenen Bündnis weiter zu arbeiten, sind jedoch auch in andere Gruppen oder eben Lohnarbeitsverhältniss o.Ä. eingebunden, so dass es erstmal auch gut sein wird, wenn wieder Zeit für andere Sachen ist, leider verdient ja keine_r von uns daran. Aber es wird vor allem nach den Aktionen in diesem Jahr um eine Auswertung dessen gehen, was dieses Jahr gemacht wurde und auch dann wieder konstruktiv mit diesen Kritiken umzugehen. Die wird es geben, auch aus der Gruppe heraus und das ist auch gut so. Und wenn es dann gut läuft wird es wahrscheinlich irgendwie weitergehen, ob weiter unter diesem Namen oder wieder in anderen Zusammenhängen ist jetzt noch nicht klar, aber der Kampf gegen Seximus und eine Verharmlosung von sexualisierter Gewalt ist leider nicht zuende gekämpft und muss weitergehen!



Das Interview wurde per Mail geführt und wird noch für einen Text zu SlutWalks für die Neuauflage des "Riot Grrrl Revisited", herausgegeben von Katja Peglow und Jonas Engelmann im Ventil-Verlag, verwendet. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen