Donnerstag, 14. Juli 2011

Frauendiskurse: „Die Goldenen Zwanziger“ und die „Neue Frau“

Marlene Dietrich, 1929
Die erste Welle der Frauenbewegung ist in den 1920er Jahren an einem Tiefpunkt angelangt. Viele der Forderungen der Frauen sind durchgesetzt. Die wichtigste: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erhalten Frauen das aktive und passive Wahlrecht für die Nationalversammlung (1). Außerdem wird 1920 das generelle Habilitationsrecht für Frauen eingeführt. Nach zehn Jahren gibt es deutschlandweit 24 Professorinnen. Das kann allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die überwiegende Mehrheit der berufstätigen Frauen in prekären Verhältnissen lebt. Typische Frauenberufe nach dem Ersten Weltkrieg sind vor allem in der Landwirtschaft und in der Heimarbeit zu finden. Unqualifizierte Arbeiterinnen schuften in Fabriken und müssen in Zeiten der Weltwirtschaftskrise mit vermehrten Entlassungen rechnen. Sie werden für die Massenarbeitslosigkeit mitverantwortlich gemacht. „Frauenerwerbsarbeit und Frauenemanzipation [werden] zur Hauptsache aller Probleme der modernen Gesellschaft erklärt (2).“

Im kulturellen Gedächtnis bleibt im Kontext „Frau in den Zwanzigern“ trotzdem vor allem die „Neue Frau“ (3), auch wenn sie insgesamt eher selten anzutreffen ist. Jenseits von bestehenden Moralvorstellungen und Stereotypen verwirklicht sie sich vor allem in den Großstädten. Sie trägt Bubikopf, weite Hosen, ist „geistig und finanziell unabhängig und [führt] ein sexuell selbstbestimmtes Leben“. Vicki Baum sorgt mit ihren Romanen, allen voran Stud. chem. Helene Wilfüer (4), für den literarischen Unterbau der „Neuen Frau“, verbirgt jedoch ungleich dem Mythos der Neuen Frau nicht, dass ein selbstbestimmtes Leben mit zahlreichen Problemen verbunden ist. 

Das erkennt auch Robert Musil, als er 1929 schreibt: „Das, was man die neue Frau nennt, ist ein etwas verwickeltes Wesen; sie besteht mindestens aus einer neuen Frau, einem neuen Mann, einem neuen Kind und einer neuen Gesellschaft. (5)" Die Frauen nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Studieren. Arbeiten. Musil beobachtet hierbei allerdings mädchenhafte Unsicherheit beim Besetzen der neuen Rollen (6).


(1) Anfang 1919 machen 19 Millionen Wählerinnen davon Gebrauch. 37 Frauen ziehen schließlich in die Nationalversammlung ein. Vgl. Michaela Karl: Die Geschichte der Frauenbewegung. Stuttgart 2011. S. 101.
(2) Ebd. S. 102f.
(3) Vgl. etwa Frauen und Frauenfiguren wie Marlene Dietrich, Coco Chanel
(4) Ein Roman über die Schwierigkeiten junger Studentinnen. Thematisiert werden u.a. Abhängigkeitsverhältnisse und Abtreibungsproblematik. Der Roman verkauft sich allein bis 1931 über 100.000 Mal.
(5) Robert Musil: Die Frau gestern und morgen. In: Friedrich M. Huebner: Die Frau von Morgen wie wir sie wünschen. Leipzig. 1929. S. 91.
(6) Vgl. ebd. S. 101.

1 Kommentar:

  1. Interessant und gut zusammengefasst. Sonst liest man ja meistens nur etwas über den ach so tollen Modestil- hier geht man aber auch auf die gesellschaftlichen Folgen des Wirtschaftsbooms ein. Gut gemacht! ;-)

    AntwortenLöschen