Dienstag, 22. Februar 2011

Chris Köver zum Missy Magazine

Sonja Eismann, Chris Köver und
Steffi Lohaus (v.l.n.r.)
Dieses Interview mit Chris Köver ist, gemeinsam mit einem Aufsatz für die medienpädagogische merz-Zeitschrift entstanden (In: Bernd Schorb und Helga Theunert (JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis) (Hrsg.): merz – Zeitschrift für Medienpädagogik. Populärkultur und Medien 55. Jahrgang. Nr. 1 Februar 2011). Das Interview mit Chris, einer der Missy Magazine Herausgeberinnen, wurde im November 2010 via Skype geführt.

Zum Einstieg: Beschreib doch mal kurz das Missy Magazine für jemanden, der_die es noch nie in der Hand hatte!

Das Missy Magazine ist ein Magazin für eine Generation von jungen Frauen, die gleichzeitig auch unsere Generation ist, für die Emanzipation selbstverständlich ist, weil sie damit schon aufgewachsen sind. Entsprechend versuchen wir diese Haltung, die junge Frauen heute haben, mit einem Magazin in dem es um Popkultur, Mode, Sex und Politik geht zu vermitteln. Wichtig sind uns dabei neben der Information und der Unterhaltung zwei Punkte. Das eine ist, dass wir die Leserinnen dazu anregen möchten, selbst aktiv zu werden, also selbst eine Band zu gründen, ein Fanzine zu machen, kreativ zu werden. Und das andere ist, dass es uns mit Missy wichtig ist, dass die Leserin am Ende das Heft mit einem guten Gefühl zuschlagen kann, mit einem Gefühl, dass sie völlig in Ordnung ist, wie sie ist, dass sie eben nicht an sich oder an ihrem Körper rumoptimieren muss. Eher umgekehrt: Unsere Leserin soll sich gut fühlen, wie sie ist, kreativ werden und wissen, dass sie, so wie sie ist, Dinge erreichen kann.

Wie sahen eure Vorerfahrungen im Bereich der Magazinproduktion aus?

Ich habe damals beim de:bug Magazin angefangen und habe danach bei verschiedenen anderen Medien Praktika gemacht und bei Zeit Online volontiert. Ich habe also eine ganz klassische journalistische Ausbildung. Und nach diesem Volontariat habe ich gemeinsam mit Steffi und Sonja das Missy Magazine gegründet. Sonja kommt stärker aus diesem popkulturellen Bereich und hat da Vorerfahrungen. Sie saß fünf oder sechs Jahre bei der Intro in der Redaktion und hat davor schon mal ein feministisches Magazin in Wien mitgegründet, die Nylon. Außerdem hat sie über die Themen Third Wave Feminism, Riot Grrrls, Do It Yourself schon akademisch gearbeitet und mittlerweile auch lehrt an verschiedenen Universitäten. Steffi kommt aus dem linksalternativen Medienbereich, hat alternatives Radio gemacht, hat früher bei Viva gearbeitet und ist durch Missy erst zum Print gekommen.


Und hattet ihr Startschwierigkeiten, bevor ihr das erste Magazin herausbringen konntet?

Die größte Startschwierigkeit für jedes neu gegründete Magazin in dieser Größenordnung ist natürlich die Finanzierung. Da war es auch bei uns so, dass wir am Anfang nicht genau wussten, wie wir das bewerkstelligen sollten. Missy ist, wie die meisten anderen Zeitschriften auch, größtenteils werbefinanziert. Aber um ein werbefinanziertes Magazin zu machen, brauchst du natürlich schon mal eine erste Ausgabe um Anzeigen anzuwerben. Der Knackpunkt ist also eigentlich immer, wie man diese allererste Ausgabe finanziert. Und danach läuft es ja im Idealfall so, dass du mit den Einnahmen aus der vorherigen Ausgabe die nächste finanzieren kannst. Ehrlich gesagt hatten wir, als wir das Missy gegründet haben, gar nicht so vor Augen, dass es ein professionelles Magazin wird, das wir hauptberuflich machen. Wir wussten schon, dass wir gerne ein Hochglanzmagazin machen wollen, aber wir dachten eher, wir machen das als sehr, sehr professionell gemachtes Fanzine neben unseren anderen Jobs. So war der vage Plan. Dann hatten wir aber sehr großes Glück und haben unerwarteter weise mit diesem Konzept einen mit 25.000 Euro dotierten Kreativförderpreis bei einem Wettbewerb gewonnen. Und mit diesem Geld haben wir dann die erste Ausgabe finanziert. Dadurch ging dann auch alles viel schneller, als wir ursprünglich geplant hatten. Wir dachten eigentlich, wir machen ein paar Soliparties mit Bands, die wir kennen und nach und nach werden wir dann schon genug Geld haben um irgendwann mal diese erste Ausgabe zu drucken.

Und wie lange habt ihr dann letztendlich inhaltlich an der ersten Ausgabe gearbeitet?

Sonja und ich hatten schon seit längerem immer wieder lose darüber nachgedacht, ein Magazin in dieser Art zu gründen. Wir kannten beide das Bust Magazine aus den USA, ein feministisches Magazin zur Popkultur, das wir beide sehr gerne gelesen haben und haben da öfter schon mal so rumgesponnen, dass es ja total toll wäre, wenn es so was auch in Deutschland gäbe. Wir haben das dann aber schnell wieder verworfen, weil wir dachten, dass sich das nicht finanzieren lässt. Wir hatten aber beide schon Ideen im Kopf und Sonja hatte sich sogar schon mal daran gemacht, ein Konzept zu formulieren und hatte das in der Schublade liegen. Und als Steffi und ich dann Anfang 2008 kamen und meinten „Super, lasst uns das doch jetzt mal machen!“, haben wir dieses Konzept eben hervorgeholt und weiter daran gearbeitet. Wir haben dann letztlich etwa ein dreiviertel Jahr nach Feierabend und an den Wochenenden am Missy gefeilt, weil wir ja alle zu dem Zeitpunkt alle noch hauptberuflich andere Jobs hatten.

Du hast eben schon die Finanzierung als einen Knackpunkt der Zeitschriftenproduktion angesprochen. Die im Missy Magazine platzierte Werbung scheint stark an eure Ideale angepasst zu sein. Habt ihr Vorgaben für die werbenden Unternehmen?

Es wäre sehr schön, aber leider sind wir da nicht in der privilegierten Position den Firmen Vorgaben zu machen. Es ist so, dass die Firmen, die Werbung bei uns schalten, die Werbung von sich aus an unsere Inhalte anpassen. Die haben ja selbst ein Interesse dran, eine Werbebotschaft zu vermitteln, die unsere Leserinnen anspricht.

Bei euch im Missy Magazine kommen Themen vor, die durchaus auch in anderen Zeitschriften auftauchen (Mode, Sex, Popkultur etc.). Warum sind diese Themen dann im Missy-Kontext trotzdem etwas besonderes?


Missy Magazine 2/2009
Copyright Missy Magazine 2009


Weil wir mit einer grundlegend anderen Haltung an diese Themen rangehen. Wenn wir Künstlerinnen, interessante Frauen vorstellen, was ja andere Frauenzeitschriften durchaus auch tun, dann machen wir das nicht, weil wir sie aufgrund ihres Äußeren für vorbildhaft halten, sondern aufgrund dessen, was sie tun. Wir versuchen Vorbilder zu zeigen, Frauen die sich durch besondere Kreativität, durch besonderes politisches Engagement, durch ihre Haltung und ihren Output auszeichnen. Das hebt uns schon mal in der Art und Weise ab, wie wir Frauen präsentieren.
Bei der Mode versuchen wir möglichst spielerisch damit umzugehen und auch hier, wie sonst im Heft, wollen wir auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass es hier um eine Form von notwendigem Kaschieren oder um Optimierung geht. Wir versuchen möglichst viele Körperformen, also die reale Vielfalt, die es tatsächlich auch gibt, an weiblichen Körpern und Hautfarben und Frisuren ... auch zu zeigen und dabei nicht den Eindruck zu erwecken, dass das eine dem anderen irgendwie vorzuziehen wäre.
Neben der Mode ist uns auch das Thema Sex im Heft sehr wichtig, weil es um Spaß und um Lust geht. Wir wollen hier keinen Leistungsdruck aufbauen. Außerdem versuchen wir, anders als viele Frauenzeitschriften, nicht heteronormativ zu sein. Der Fokus ist auch stärker darauf ausgelegt, dass unsere Leserinnen ihren eigenen Körper kennen lernen. Sie sollen schauen, was ihnen gut tut, weil wir denken, dass ein erfülltes Sexleben, egal ob mit Partner oder Partnerin, nur dann funktionieren kann, wenn man den eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse auch kennt.

Du hast Ähnlichkeiten zu anderen Zeitschriften beschrieben, aber auch Unterschiede. Wenn Du in einer Bahnhofsbuchhandlung arbeiten würdest, wo würdest du das Missy Magazine dann einsortieren?

Natürlich würde ich komplett das ganze Fenster mit dem Missy Magazine tapezieren. Also, da freue ich mich immer am meisten drüber, weil immer mal wieder passiert das auch, dass wir in den Bahnhofsbuchhandlungen eine Fensterplatzierung bekommen. Aber Deine Frage zielte vielmehr darauf ab, wo wir uns verorten.

Genau.

Wir möchten nicht bei den Musikmagazinen liegen, weil wir eben doch auch mehr als nur ein Popkulturmagazin sind mittlerweile. Eigentlich sind wir so einzigartig auf dem deutschen Markt, dass wir so ohne weiteres in gar keine Gruppe von Magazinen einzusortieren sind. Am Kiosk liegen wir aber wohl am besten neben der Dummy, Zeit Campus oder Neon, also anderen Lebensstil- und Gesellschaftsmagazinen, die sich an ein junges und kreatives Publikum richten.

Neben der Printausgabe habt ihr ja auch eine Online-Plattform. Wie wichtig ist das Netz gerade für eine Zeitschrift wie das Missy Magazine?

Sehr wichtig! Es war so, dass wir schon diesen Preis gewonnen haben, weil wir in einer Onlinecommunity zu unseren Gunsten abgestimmt hat. Also schon vom ersten Moment an, sogar bevor das Magazin zum ersten Mal erschienen ist, gab es da eine sich ganz stark über das Netz definierende Fangemeinde mit Leuten, die uns die Daumen gedrückt haben und uns angefeuert haben, dieses Magazin zu machen. Das war natürlich auch unglaublich motivierend.
Andere Verlage und Magazine machen vor der ersten Herausgabe eines neuen Angebots unheimlich aufwendige Zielgruppenanalysen und Marktbefragungen. Dafür hatten wir gar kein Geld. Es war eher so eine Bauchgefühl-Geschichte. Da war das positive Feedback im Internet sehr wichtig für uns. Dafür war und ist das Internet unheimlich wichtig – als Feedbackkanal, als Kommunikationskanal, um Rückmeldung von den Leserinnen und Lesern zu erhalten. Natürlich bewerben wir über das Internet auch immer wieder unsere Veranstaltungen und Neuerscheinungen. Was es eben ausmacht ist, dass die Kommunikation in beide Richtungen funktioniert. Wir gehen eben da hin, wo die Leute auch sind und treffen uns dort auch mit denen.

Du hast grad schon von eurer Zielgruppe gesprochen. Wie würdest Du die definieren?

Unsere LeserInnen sind im Schnitt zwischen Anfang 20 und Ende 30. Größtenteils werden wir von Frauen gelesen. Wir haben aber auch männliche Leser, wie wir erfreut festgestellt haben. Die sagen, sie schätzen das Magazin vor allem aufgrund der fundierten und gut geschriebenen Rezensionen, da haben wir uns mittlerweile als Expertinnen für von Frauenproduzierte Kultur etabliert. Ansonsten sind es aber zu 90% Leserinnen, die überdurchschnittlich gebildet sind, der allergrößte Teil hat Abitur und über die Hälfte studiert oder hat einen akademischen Abschluss. Unsere Leserinnen sind teilweise kinderlos, teilweise mit Kind und sie sind in hohem Maße an politischen und kulturellen Themen interessiert. Es gibt leichte Ballungen von Leserinnen in großen Städten. Allerdings haben wir auch viele Leserinnen abseits großer Städte, was uns besonders freut.

Obwohl sich im Heft mit den Themen Pop und Feminismus immer ein roter Faden findet, wirken die erschienen Ausgaben doch recht heterogen. Woran liegt das?

Wir sind redaktionell bemüht möglichst viel Vielfalt im Heft zuzulassen, zum Beispiel auch was verschiedene Schreibstile angeht. Wir redigieren eben nicht alles auf den „Missy-Ton“ um und versuchen die einzelnen Stimmen der Autorinnen und Autoren dann auch tatsächlich durchklingen zu lassen. Thematisch versuchen wir das breite Spektrum, das uns interessiert und von dem wir denken, dass es auch unsere Leserinnen beschäftigt, abzudecken. Das ist eben ein recht breites Spektrum von kulturellen Themen und aktuellen politischen Themen. Wir begreifen uns nicht nur als emanzipiertes Magazin, dass sich für Gleichberechtigung einsetzt, wir denken auch, dass wer für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, automatisch auch andere linke Positionen einnehmen muss und gegen andere Achsen von Diskriminierung kämpfen muss, seien diese nun rassistisch, behindertenfeindlich, homophob und so weiter. Deswegen versuchen wir auch da immer wieder Themen aufzugreifen.

Du hast eben gesagt, dass Du das Missy Magazine als einzigartig im deutschsprachigen Raum einschätzt. Denkst Du denn auch, dass Feminismus ein Nischenthema ist?

Es ist schwierig. Wir haben heute eine andere Situation als in den 1970er Jahren. Eine emanzipierte Lebensweise wird als selbstverständlich angesehen und nicht mehr als Feminismus bezeichnet. Ähnlich versuchen wir es auch mit Missy. Wir sagen, es geht nicht darum, die ganze Zeit den Feminismus vor uns herzutragen. Wir versuchen einfach, selbstverständlich damit umzugehen. Irgendwie ist Feminismus deswegen für mich überhaupt kein Nischenthema mehr, sondern ganz im Gegenteil völlig im Mainstream angekommen. Ich sage jetzt nicht, dass wir alles erreicht hätten, ich denke es gibt noch sehr viel zu tun, zum Beispiel wenn es um Lohngleichheit geht, oder das Mutterbild in Deutschland Aber in sehr vielen Bereichen ist es eben selbstverständlich geworden, dass wir in einer gleichberechtigten Position sind heute.

Wie wäre es an dieser Stelle mit einem Schlusswort? Was wünscht Du Dir, beziehungsweise was wünscht ihr euch für die Zukunft des Missy Magazine?

Wir wünschen uns finanzielle Stabilität. Wir haben im Moment eine sehr positive, sehr erfreuliche Entwicklung. Ich wünsche mir, dass wir noch ein bisschen wachsen. Zur Zeit sind wir nur sechs oder sieben Leute, die mehr oder weniger Vollzeit am Missy arbeiten. Und ich wünsche mir noch mehr Vielfalt, damit es nicht immer heißt „Ach ja, es gibt die Emma und dann gibt es noch euch“. Außerdem würden wir uns freuen, wenn irgendwann einmal die Kategorie Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Bis dahin halten wir es aber weiterhin für wichtig und gut primär das zu zeigen, was Frauen leisten.
Zur Zeit versuchen wir außerdem unser Angebot weiter zu diversifizieren. Wir machen mit Missy jetzt auch zunehmend Bildungsarbeit, bieten Workshops an Universitäten und auf Jugendmedientagen an, wo wir Gendersensibles Schreiben trainieren. Wir kooperieren auch mit Stiftungen und Organisationen, übernehmen zum Beispiel Kongressdokumentationen. Zur Frauen-Fußball-WM planen wir ein Projekt mit einer großen deutschen Stiftung. Wir versuchen also neben dem Magazin, Missy auch im Bereich Bildung und Dokumentation zu etablieren.


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